Das RASF Manifest

Die Welt ist im Wandel. Die digitalen Medien verändern unser Leben so stark wie keine andere Innovation im vergangenen Jahrhundert. Vor allem das Smartphone ist in die entlegensten Winkel unseres Lebens vorgedrungen und hat unseren Alltag in vielen Bereichen auf den Kopf gestellt. So können wir heutzutage problemlos zu entlegenen Orten navigieren, über Suchmaschinen auf das gesammelte Weltwissen zugreifen und in sozialen Netzwerken Kontakte zu unseren Freund:innen pflegen, selbst wenn sie auf der anderen Seite des Planeten leben. Und auch für die Zukunft bleibt die Vernetzung der Welt der Ursprung des technischen Fortschritts und kein Problem scheint groß genug, als dass es nicht durch die neuen Prophet:innen aus dem Silicon Valley gelöst werden könnte. Doch steigert das Ansehen von Katzenvideos beim gemeinsamen Restaurantbesuch mit der Familie wirklich unsere Lebensqualität? Gehört man zur gesellschaftlichen Avantgarde, wenn man in sozialen Netzwerken die Illusion eines glücklichen und erfüllten Lebens inszenieren kann, obwohl sich dahinter nur ein wackliges Gerüst aus Lügen und Selbsttäuschung verbirgt? Wird unsere Gesellschaft zu einem lebenswerteren Ort, wenn unsere Öffentlichkeit sich immer weiter in einzelne Fragmente zersplittert bis sich jeder Mensch in seiner personalisierten digitalen Blase bequem eingenistet hat und für die Probleme und Anliegen andersdenkender Menschen nicht mehr erreichbar ist? Wir von der Radikalen Anti Smartphone Front sagen ganz klar: NEIN! Nein zur Parallelkommunikation mit Abwesenden im Beisein anderer, nein zur Selbstdarstellung des eigenen Narzissmus und nein zum anhaltenden Auseinanderdriften unserer Gesellschaft! Und in aller Deutlichkeit sagen wir NEIN zum ausufernden und exzessiven Gebrauch von Smartphones, der peu à peu unser soziales Leben vergiftet. Stattdessen sagen wir JA zu allem was unser Leben wirklich lebenswert macht: Freundschaft, Freiheit, Liebe und Zusammenhalt. Unser Credo lautet deshalb: Ficken statt Facebook! Lieben statt liken! Emotion statt Emoticon! Wir sind die Radikale Anti Smartphone Front!

Wichtiger als eine Horde Abonnent:innen auf Facebook, sind eine Handvoll Freund:innen mit denen wir lachen, weinen und über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens reden können. Doch mehr und mehr Menschen ziehen es vor im Internet zu surfen, anstatt Freundschaften in der analogen Welt zu pflegen. Selbstverständlich können wir auch in sozialen Netzwerken unseren Freund:innen nahe sein und darüber hinaus haben wir die Möglichkeit mit mehr Menschen in Kontakt zu bleiben als jemals zuvor. Allerdings muss man sich immer wieder der Tatsache bewusst werden, dass zwischen der Quantität und der Qualität von Freundschaften ein Spannungsverhältnis herrscht. So können wir zwar unseren Bekannten in Amsterdam, New York, Hoyerswerda und Buxtehude jederzeit per WhatsApp eine Nachricht schicken, merken dabei aber nicht, dass wir unserer unmittelbaren Umgebung keine Aufmerksamkeit schenken. Die Forscher:innen des „Mental Balance“ Projekts fanden heraus, dass Smartphone-Nutzer:innen im Schnitt 88 mal am Tag ihr Gerät einschalteten, 35 mal um die Uhrzeit oder den Nachrichtenstand zu checken und 53 mal um zu surfen, chatten oder Apps zu nutzen. Das heißt die Teilnehmer:innen dieses Projekts richteten alle 18 Minuten ihrer wachen Zeit ihre Aufmerksamkeit auf ihr Smartphone und verbrachten täglich zweieinhalb Stunden vor dem Smartphone – davon nur 7 Minuten für Telefonate. Ob bei Restaurantbesuchen, in einer Bar oder beim Sex, jede:r empfindet es manchmal als störend wenn die Freund:innen oder die Partner:in nur noch vor dem Smartphone hängen. So sagen laut der W3B Studie 74% aller Internet-Nutzer:innen der Alltag wäre angenehmer, würden mehr Leute ihr Smartphone ab und zu ausschalten. Es wäre also besser, wenn wir uns einmal öfters darauf besinnen würden, im Hier und Jetzt den Moment mit unseren Freund:innen zu genießen, anstatt unsere Aufmerksamkeit ständig auf den Bildschirm zu richten.

Außerdem führen diese permanente Ablenkung und die ständige Suche nach dem nächsten Reiz zu einer Abwesenheit von Langeweile. Egal ob das Checken von WhatsApp Nachrichten, Fußballergebnissen, aktuellen Modetrends oder den neuesten Verschwörungstheorien, es gibt immer etwas, das unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Sobald wir nur mit dem kleinsten Anflug von Langeweile konfrontiert sind, greifen wir routiniert in die Hosentasche und lesen etwas nach, das wir nach fünf Minuten wieder vergessen haben. Dadurch verfolgen wir das Leben anderer passiv aus der Zuschauerrolle anstatt aktiv zu werden und die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Denn wer nicht gelangweilt ist, wird nicht kreativ, um neue Wege zu gehen oder Gedanken zu entwickeln, die länger als 140 Zeichen sind.

Darüber hinaus wird das Leben durch die sozialen Netzwerke schleichend zu einem Schaufenster degradiert und die Welt in eine Einkaufsmeile verwandelt, in der alle ihre Waren ausstellen, aber keiner mehr etwas kauft. Die Währung dieser Welt heißt LIKE. Zwar kann man sich davon nichts kaufen, doch für die meisten Digital Natives haben viele Likes auf der eigenen Social-Media Präsenz mittlerweile einen höheren Stellenwert als käufliche Statussymbole. Schließlich bedeuten sie Aufmerksamkeit und Anerkennung für uns und unsere Leistungen. Somit definieren sie auch unseren sozialen Status, bestimmen unser Wohlbefinden und entwickeln sich in manchen Fällen sogar zur Sucht. So bekommen nicht wenige von uns bereits schwitzige Hände, sobald der Akku des eigenen Smartphones zu Neige geht und kein Ladegerät in Sicht ist.

Weiterhin gibt es um diese Währung einen harten Wettbewerb, sodass der Kampf um Aufmerksamkeit unser Handeln immer grundlegender bestimmt. Wer heutzutage zu Touristenhotspots in den Urlaub fährt, weiß nicht mehr ob manche Menschen fotografieren, was sie erleben oder etwas erleben, um es zu fotografieren. Denn das wichtigste Mittel auf der Jagd nach Likes lautet multimediale Selbstdarstellung auf allen Ebenen. Doch wenn die Inszenierung des eigenen Lebens an ebendessen Stelle tritt, hat das fatale Folgen für den:die Einzelne:n und die Gesellschaft als Ganzes, denn die ständige Vergleichbarkeit ist ein Kampf bei dem es kaum Gewinner:innen gibt.

Vor allem unter Jugendlichen führen soziale Netzwerke zu einem hohen Anpassungsdruck, der in vielen Fällen sogar in psychische Erkrankungen mündet. So hat sich laut Robert Koch Institut der Anteil junger Mädchen mit Essstörungen in den letzten fünf Jahren von 20% auf 35% erhöht. Unter #fitness finden sich bei Instagram etwa 100 Millionen Bilder von Jungen und Mädchen, die dokumentieren, wie sie schlanker und muskulöser werden. Diese Selfie-Flut in Kombination mit Heidi Klums Hungerhakenprinzip wirkt auf viele Jugendliche wie eine Einstiegsdroge. Eine Droge, die fatale und langfristige Folgen haben kann.

Zudem erzeugen Smartphones für jede:n Nutzer:in eine personalisierte digitale Blase, sodass unsere Öffentlichkeit immer weiter zersplittert und die Gesellschaft sich mehr und mehr polarisiert. Mittlerweile werden viele Informationen über digitale Medien bezogen, vor allem über das Smartphone. Im Internet lesen wir allerdings nur was wir suchen und nicht die Dinge von denen wir gar nicht wussten, dass sie uns interessieren. Schließlich tendieren wir dazu Artikel zu lesen, die unsere Meinung bestätigen, anstatt sie herauszufordern. Vor allem in den sozialen Medien bekommen wir nur serviert, was uns statistisch auch gefällt und die so erzeugte Öffentlichkeit besticht durch Einheit und nicht durch Vielfalt. Als der britische Internetaktivist Tom Steinberg beispielsweise seine Timeline in den sozialen Medien nach Menschen durchsucht hat, die den Brexit begrüßen, hat er keinen einzigen gefunden, obwohl 52% der Bevölkerung sich genau dafür ausgesprochen hatten. Der für den öffentlichen Diskurs essentielle Austausch von Meinungen findet also immer weniger statt.

Diese medialen Echokammern führen darüber hinaus zu einer sinkenden Toleranz gegenüber anderen Meinungen und somit auch zu einer erhöhten Aggressivität in der politischen Auseinandersetzung. Diese Tatsache lässt sich vor allem anhand der inflationären Verwendung des Begriffs Lügenpresse beobachten, denn für viele Menschen mit rechter Gesinnung deckt sich die Berichterstattung der sogenannten Mainstream Medien nicht mehr mit der virtuellen Realität in den sozialen Netzwerken. Wer gegen die Aufnahme von Geflüchteten ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine hohe Zahl von Menschen in seinem Facebook-Stream sehen, die sich ebenfalls gegen die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. Die Berichte über die positiven Beispiele von Integration können also nur Propagandamaßnahmen der Regierung sein. Da man scheinbar alle Mitmenschen auf seiner Seite hat, kann man sich gegen die gefühlte Diktatur einer kleinen elitären Minderheit nur mit Gewalt wehren und diese auch noch mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ ideologisch rechtfertigen. Und auch in linksliberalen Kreisen sieht man sich leicht verführt, alle AfD-Wähler:innen auf Facebook pauschal als Nazis zu verteufeln und an den digitalen Pranger zu stellen, anstatt sich inhaltlich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Die durch digitale Blasen hervorgerufene Spaltung unserer Gesellschaft lässt sich vor allem in den öffentlichen Debatten der westlichen Welt beobachten. So kam es im Vorfeld des EU Referendums zu einem hasserfüllten Streit um das Für und Wider eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union. In diesem Wahlkampf wurden gezielt falsche Informationen gestreut. Diese konnten sich nur durch unreflektiertes Teilen in den sozialen Netzwerken zu scheinbaren Fakten entwickeln. Der politische Ton wurde immer rauer und die darauffolgende Schlammschlacht gipfelte schließlich in der Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox durch einen Britischen Nationalisten. Auch der Wahlkampf in den USA war gekennzeichnet durch Hasstiraden und Beleidigungen des politischen Gegners anstatt einer vernünftigen öffentlichen Debatte über die Zukunft eines Landes, das einer Demokratie würdig ist. Vor allem der selbsternannte Medienprofi Donald Trump hat die Lüge zum politischen Stilmittel erhoben, denn er hat erkannt, dass Fakten in einer durch Bilderflut geprägten medialen Welt keine Rolle mehr spielen.

Wir stellen außerdem fest, dass wir dem Zufall durch den permanenten Gebrauch von Smartphones keinen Platz mehr in unserem Leben lassen, sodass sich unsere Existenz in ein kühl kalkulierbares Computerspiel verwandelt. Doch wie der griechische Philosoph Diogenes bereits bemerkte, sind Zufälle unvorhergesehene Ereignisse, die einen Sinn erfüllen: Jede:r von uns hat bereits Bekannte, Freund:innen oder sogar die eigene Partner:in durch eine zufällige Begegnung kennengelernt. Rückblickend betrachtet empfinden wir diese erste Begegnung als besonders schicksalhaft, denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Auch die Radikale Anti Smartphone Front ist durch einen Zufall entstanden. So saßen die beiden Initiatoren unserer Bewegung bei ihrer ersten Vorlesung im mit 500 Leuten besetzten Hörsaal zufälligerweise hintereinander. Hätten sie damals WhatsApp-Nachrichten geschrieben, anstatt sich zu unterhalten, würde dieser Text nicht existieren und darüber hinaus wäre auch in diesem Fall jener von Hermann Hesse beschworene Anfangszauber aufgrund eines Algorithmus von der Bildfläche verschwunden.

Viele Leser:innen fragen sich an dieser Stelle, warum wir eigentlich radikal im Namen tragen, da wir niemanden dazu auffordern sein Smartphone unverzüglich dem Feuer hinzugeben oder einen Terroranschlag auf den nächstgelegenen Apple-Store zur verüben. Nun, wir sind radikal, weil wir nicht bereit sind eine Entwicklung hinzunehmen, die weithin als alternativlos angesehen und nur unzureichend hinterfragt wird. Ein Mensch der in den 1980ern ins Koma gefallen wäre und heute wieder aufwachen würde, könnte denken es sei eine Seuche ausgebrochen, die unsere Öffentlichkeit bis in den letzten Winkel infiziert hat, da überall und an jeder Ecke Menschen nur noch in ihren elektronischen Spiegel starren. Wir wollen stattdessen Smartphones zu dem machen was sie eigentlich sind: Ein nützliches Hilfsmittel zur Bewältigung des Alltags, mit dem wir Zeit sparen und nicht verschwenden. Ein Gedanke der angesichts des Status Quo in unserer Gesellschaft geradezu radikal erscheint.

Unser Leben und Handeln wird weiterhin durch den exzessiven Gebrauch von Smartphones immer stärker durch Algorithmen determiniert, die über kurz oder lang unseren freien Willen untergraben und die kommerzielle Totalausbeutung des Menschen möglich machen. Egal ob für Partnersuche, Gesundheit, Navigation, neue Musik, Kommunikation, den nächsten Urlaub oder das neue Buch, mittlerweile gibt es keinen Lebensbereich, der sich nicht durch eine neue App optimieren lassen würde. Selbst Kondome kann man heutzutage per Knopfdruck bei Amazon Dash bestellen. Allerdings wissen die Konzerne dadurch auch wie oft wir Sex haben, in welche Clubs wir gerne gehen, auf welchen Menschen wir heimlich stehen, welche Krankheiten wir haben, welche Musik uns gefällt und welche Bücher wir gerne lesen. Dank detaillierter Bewegungsaufzeichnungen wissen sie sogar mehr über uns als wir selbst. Diese ungeheure Datenmenge macht eine Prognose unseres Verhaltens kinderleicht. Der Philosoph Byung-Chul Han von der Universität der Künste in Berlin weist energisch darauf hin, dass Big Data ein effizientes psychopolitisches Instrument ist, durch das Menschen wie willenlose Marionetten manipuliert werden können. Denn Big Data erzeugt ein Herrschaftswissen, das es Konzernen möglich macht in unsere Psyche einzugreifen, ohne dass wir es merken. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden Menschen zu quantifizierbaren und steuerbaren Objekten degradiert, zu von fremden Mächten gesteuerten Sklav:innen, die ihre Freiheit auf dem Altar der digitalen Selbstoptimierung freiwillig opfern und anschließend mit den eigenen Händen zu Grabe tragen, bis unser Lebensinhalt nur noch aus Kommunikation, Kommerz und Konsum besteht.

Wir von der Radikalen Anti Smartphone Front stemmen uns gegen diese Entwicklung, denn glückliche Sklav:innen sind die größten Feind:innen der Freiheit. Wir wollen nicht, dass sich die düsteren Dystopien von George Orwell und Aldous Huxley als hellseherisch erweisen, doch bereits jetzt werden wir wie in „1984“ von Behörden wie der NSA überwacht und sind wie die Menschen in „Schöne neue Welt“ gefangen in der Totalbespaßung. Anstatt sich in einer Simulation der Welt zu verlieren, fordern wir die Menschen deshalb dazu auf, ihr Smartphone ab und zu auszuschalten, sich wieder mehr der Welt da draußen zuzuwenden und die Realität einer kleinen Gemeinschaft zu genießen!

Eine Antwort auf „Das RASF Manifest“

Kommentare sind geschlossen.